"Kein Einzelfall" in Weimar Geflüchtete Ukrainerin fordert bei Tafel Kaviar und Garnelen

FOCUS-online-Chefreporter Göran Schattauer

Montag, 19.09.2022, 16:20

Sie fahren mit dem SUV vor, zahlen ihren Obolus mit 100-Euro-Scheinen und beschweren sich über Obst mit Druckstellen: Ukrainische Flüchtlinge sorgen bei der Tafel in Weimar für Unmut. Ehrenamtliche Mitarbeiter sind es satt, angepöbelt zu werden. Swen Pförtner/dpa Eine Mitarbeiterin der Tafel in Göttingen sortiert Lebensmittel in die Auslage
(Symbolfoto).

Die Mitarbeiterin der Tafel im thüringischen Weimar muss sich vorgekommen sein wie im falschen Film: Eine aus der Ukraine geflüchtete Frau übergab ihr einen kleinen karierten Zettel, auf dem sie mit blauem Kugelschreiber fein säuberlich ihre Lebensmittelwünsche notiert hatte. Neben Käse, Quark und Joghurt begehrte sie unter anderem "Garnelen", "Roten Kaviar" sowie "Schwarzen Kaviar".

Selbst wenn Kaviar in der Ukraine nicht unbedingt als Luxusspeise gilt - der skurrile Einkaufszettel, über den jetzt eine Journalistin des MDR berichtete, sorgte bei der Tafel in Weimar für großen Unmut. Und es ist beileibe nicht der einzige Aufreger im Zusammenhang mit dem Auftreten ukrainischer Flüchtlinge.

Ukraine-Flüchtlinge bei der Tafel: Immer wieder Konflikte

Tafel-Chef Marco Modrow erklärte der Reporterin, etliche Tafel-Gäste aus der Ukraine seien pikiert, "dass man sich bei uns anstellen muss, dass man einen Ausweis beantragen muss, dass man warten muss". Deshalb sei es immer wieder zu Konflikten gekommen. Auch habe es Ärger gegeben, wenn mal ein Apfel eine Druckstelle hatte oder das Mindesthaltbarkeitsdatum fast erreicht war. Die ukrainischen Gäste hätten sich dann "schlecht behandelt" gefühlt.

Die ehrenamtliche Tafel-Mitarbeiterin Steffi berichtete, dass sie sogar einmal mit einem Salatkopf beworfen worden sei, der ein wenig welk war. "Wir werden hier fast täglich angepöbelt, weil jemandem irgendetwas nicht passt", erklärte sie und ergänzte: "Das haben wir bei den Syrern nie erlebt."

Fast schon als Provokation empfinden es die Tafel-Leute, wenn Ukrainer die üblichen zwei Euro Obolus für einen Lebensmittel-Einkauf mit einem Geldbündel in der Hand bezahlen und einen 100-Euro-Schein auf den Tisch legen.

"Man muss doch nicht mit dem SUV zur Tafel fahren!"

Für Kopfschütteln bei Stammkunden und Mitarbeitern sorgt auch, dass auf dem Parkplatz der Einrichtung, in der Essen-Spenden von Supermärkten, Bäckereien oder Lebensmittelherstellern an arme Menschen verteilt werden, neuerdings auch leistungsstarke, nicht gerade billige Autos stehen. Eine Mitarbeiterin sagte dem MDR: "Manchmal kommt man kaum noch durch. Große, teure Autos sind dabei und alle haben ukrainische Nummernschilder. Man muss doch nicht mit dem SUV zur Tafel fahren!"

Tafel-Leiter Modrow erklärte dazu, es sei klar, dass viele Ukrainer in ihrem privaten Auto vor dem Krieg geflüchtet seien und damit nun in Deutschland fahren. "Aber wir sind ein öffentlicher Raum, und dann kriegen das natürlich alle anderen mit, die in der Schlange stehen. Das erzeugt dann schon einen gewissen Unmut." Die Leute würden die Bedürftigkeit der ukrainischen Flüchtlinge anzweifeln. Die Vorsitzende der Tafeln Thüringen, Beate Weber-Kehr, sagte dazu dem MDR: "Die Tafeln sind in erster Linie da, um Menschen in Not zu helfen. Deshalb muss man da schon mal nachfragen dürfen."

Möbel und Wohnungen abgelehnt: "Die wollen das nicht"

Marco Modrow stellte klar, es sei völlig unzweifelhaft, dass den Menschen aus der Ukraine hier vor Ort schnell und unkompliziert geholfen werden müsse. Aber auch sie sollten zu Kompromissen bereit sein. "Wir haben zehn Betten mit Matratzen geliefert für mehrere Wohnungen. Da sind dann meine Mitarbeiter unverrichteter Dinge zurückgekommen und haben gesagt: ‚Die wollen das nicht'" Auch das Angebot, in ein voll ausgestattetes Wohnheim mit Verpflegung außerhalb Weimars zu ziehen, sei auf Ablehnung gestoßen. "Es war niemand bereit, dort hinzugehen."

Der Tafel-Chef in einem fast schon resignierenden Ton: "Da bin ich etwas ratlos".

Hauke-Christian Dittrich/dpa
Ehrenamtliche in Hannover bereiten die Ausgabe der Lebensmittel in der Tafel vor.

Modrow räumt ein, dass den meisten Ukrainerinnen und Ukrainern das deutsche Tafel-System nicht bekannt sei. Außerdem kämen sie aus einem Land mit einem europäischen Lebensstandard. Sie seien "ein anderes Niveau" gewöhnt als die normalen Tafel-Gäste. Er stellt auch klar, dass es "nicht die Mehrheit" sei, die mit ihrem Auftreten für Missstimmung unter den Tafel-Mitarbeitern sorge. Allerdings seien es auch "keine Einzelfälle".

Tafel-Mitarbeiter zweifeln bei manchen an Bedürftigkeit

Nach den Erfahrungen der letzten Monate, resümiert Modrow, stelle sich die Frage, ob es jeder Ukrainer nötig hat, "aus finanzieller Sicht zur Tafel zu gehen" - selbst wenn diese Menschen aus der Ukraine fliehen mussten. Diese Frage müsse man sich stellen, auch wenn sie politisch längst beantwortet ist.

Denn seit 1. Juni 2022 werden erwerbsfähige ukrainische Frauen und Männer und ihre Familien vom Jobcenter betreut und haben Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen - ohne dass ihre Vermögenssituation geprüft wird, wie das in Deutschland normalerweise üblich ist. Damit hätten sie "auch das Recht, zur Tafel zu gehen", so Modrow.

Überlastete Tafeln: Fast ein Drittel verhängte Aufnahmestopp

Das hat auf die rund 960 Tafeln in Deutschland mit ihren 60.000 Helferinnen und Helfern massive Auswirkungen. Hier einige Fakten:

Belastung der Helferinnen und Helfer stark gestiegen

Als ihre aktuell größten Herausforderungen sehen die Tafeln in Deutschland:

Auch in Weimar leiden die Tafel-Leute unter "starker Überforderung", wie der Leiter Marco Modrow dem MDR sagte. "Normalerweise betreuen wir hier etwa 1400 Erwachsene und 700 Kinder. Inzwischen sind noch etwa 800 Menschen aus der Ukraine dazu gekommen."

Tafel-Chef in Weimar: "Wir sind bereit zu helfen, aber..."

Mitarbeiterin Steffi, die seit vielen Jahren ehrenamtlich bei der Tafel ist, überlegt sogar, ihre Stelle aufzugeben. "Wenn du nach jedem Dienst zu Hause sitzt und heulst, ist das doch nicht Sinn der Sache", erklärte sie der Reporterin. Schon 2015, als sehr viele Kriegsflüchtlinge aus Syrien kamen, seien sie und ihre Kolleginnen und Kollegen an ihre Belastungsgrenzen gestoßen. Doch gemeinsam habe man die Herausforderungen gemeistert. Die neue Entwicklung jedoch führe bei ihr zur körperlichen und psychischen Erschöpfung.

Tafel-Chef Modrow glaubt, dass man die Probleme in den Griff bekommen kann, wenn alle Beteiligten - die Tafel, die Behörden, das Land, die Flüchtlinge selbst - offen über Probleme diskutieren und Lösungen suchen. "Wir sind bereit zu helfen", sagte er dem MDR. "Wir können aber nur das möglich machen, was auch möglich ist." Dabei müsse die Tafel "auch andere Bevölkerungsgruppen im Blick behalten". Es dürfe nicht passieren, dass die verschiedenen Gruppen von Tafel-Gästen gegeneinander ausgespielt werden.

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